Warum ich dir NICHT empfehlen würde, dein Pferd zu desensibilisieren

In der Welt des Pferdetrainings gibt es viele Ansätze und Methoden, die von verschiedenen Trainern propagiert werden. Eine weit verbreitete Praxis ist die Desensibilisierung – das gezielte Aussetzen eines Pferdes gegenüber potenziellen Stressoren, um dessen Angst zu reduzieren. Doch ich möchte dir heute einen anderen Blickwinkel auf dieses Thema bieten und erklären, warum ich diese Methode nicht empfehle.

 

Die Illusion der Desensibilisierung

Kürzlich sah ich ein Video, das mich zum Nachdenken brachte. In diesem Clip wurde ein Pferd mit einem Schlauch gewaschen. Die Trainer sprühten Wasser auf das Tier und brachten es dazu, herumzulaufen, bis es erschöpft und schweißgebadet war. Die Zuschauer jubelten, überzeugt davon, dass das Pferd nun gelernt hatte, sich waschen zu lassen. Aber was in Wirklichkeit geschah, war etwas ganz anderes.

Das Pferd hat nicht gelernt, dass der Schlauch oder das Wasser harmlos sind. Stattdessen hat es gelernt, dass es keinen Ausweg aus dieser stressigen Situation gibt. Für ein Fluchttier wie ein Pferd bedeutet Aufgeben oft eine extreme Form der Unterwerfung – im schlimmsten Fall kann dies sogar lebensbedrohlich sein.

 

Der Unterschied zwischen Desensibilisierung und Vertrauen

Desensibilisierung wird oft als eine Möglichkeit dargestellt, um Ängste abzubauen. Doch in vielen Fällen führt sie dazu, dass das Pferd seine natürliche Fluchtreaktion unterdrückt. Anstatt Vertrauen aufzubauen und positive Erfahrungen zu schaffen, riskieren wir, unsere Pferde in einen Zustand der Unterwerfung zu bringen.

 

Ein gesundes Training sollte darauf abzielen, eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Mensch und Tier aufzubauen. Es geht darum, dem Pferd Sicherheit zu geben und ihm die Möglichkeit zu bieten, selbst Entscheidungen zu treffen. Wenn wir stattdessen versuchen, ihre Reaktionen durch Zwang oder Überforderung zu brechen, verlieren wir die Verbindung zu unserem Tier.

 

Die Gefahren der falschen Desensibilisierung

 

Die Gefahren einer unsachgemäßen Desensibilisierung sind vielfältig:

  1. Stress und Angst: Anstatt Ängste abzubauen, können wir ungewollt Stress erzeugen. Ein gestresstes Pferd ist nicht nur unglücklich; es kann auch gefährlich werden, da es in Panik geraten oder aggressiv reagieren kann.

  2. Verlust des Vertrauens: Wenn ein Pferd wiederholt in eine stressige Situation gezwungen wird, kann es das Vertrauen in seinen Menschen verlieren. Ein Pferd, das nicht mehr auf seinen Menschen vertraut, wird Schwierigkeiten haben, sich auf Training und Interaktion einzulassen.

  3. Unterwerfung statt Kooperation: Durch Zwang und Überforderung lernt das Pferd möglicherweise, dass die einzige Möglichkeit, mit einer unangenehmen Situation umzugehen, darin besteht, aufzugeben. Dies führt zu einem Zustand der Unterwerfung anstelle von echter Kooperation.

  4. Langfristige Verhaltensprobleme: Pferde, die durch unsachgemäße Desensibilisierung traumatisiert wurden, können langfristige Verhaltensprobleme entwickeln. Dazu gehören Fluchtverhalten, Aggression oder sogar gesundheitliche Probleme aufgrund von chronischem Stress.

  5. Missverständnisse in der Kommunikation: Wenn wir versuchen, ein Pferd zu desensibilisieren, ohne seine Körpersprache und seine Reaktionen richtig zu lesen, riskieren wir Missverständnisse. Ein Pferd könnte unsignalisierte Ängste oder Unbehagen zeigen, die wir ignorieren – was zu weiteren Problemen führen kann.

Der richtige Ansatz: Positive Verstärkung und Geduld

 

Statt auf Desensibilisierung zu setzen, empfehle ich einen Ansatz, der auf positiver Verstärkung basiert. Hier sind einige Tipps für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu deinem Pferd:

  • Schaffe positive Erfahrungen: Führe neue Dinge schrittweise ein und belohne dein Pferd für ruhiges Verhalten, um positive Assoziationen mit neuen Reizen zu schaffen.

  • Achte auf Körpersprache: Lerne die Körpersprache deines Pferdes zu lesen. Achte darauf, wie es auf neue Reize reagiert, und respektiere seine Grenzen. Wenn du bemerkst, dass dein Pferd nervös oder ängstlich wird, gib ihm Zeit und Raum, um sich an die Situation anzupassen.

  • Sei geduldig: Vertrauen braucht Zeit. Sei geduldig mit deinem Pferd und erwarte nicht sofortige Ergebnisse. Jeder Fortschritt, egal wie klein, sollte gefeiert werden.

  • Nutze kleine Schritte: Beginne mit weniger intensiven Reizen und steigere die Schwierigkeit allmählich. Wenn du beispielsweise das Waschen mit einem Schlauch üben möchtest, beginne damit, das Pferd einfach nur in der Nähe des Schlauchs stehen zu lassen, bevor du Wasser darauf sprühst.

  • Integriere Spiel und Spaß: Mache das Training spielerisch! Indem du das Lernen in eine angenehme Erfahrung verwandelst, wird dein Pferd motivierter sein, mit dir zusammenzuarbeiten.

Fazit

Desensibilisierung kann in der Theorie sinnvoll erscheinen, aber in der Praxis birgt sie erhebliche Risiken für das Wohlbefinden deines Pferdes. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und positive Erfahrungen zu schaffen. Indem wir Geduld zeigen und auf die Bedürfnisse unseres Pferdes eingehen, können wir eine starke Bindung entwickeln und gleichzeitig sicherstellen, dass unser Pferd sich wohlfühlt und bereit ist, mit uns zusammenzuarbeiten.

 

Denke daran: Ein glückliches Pferd ist ein kooperatives Pferd!